Eine unendliche Geschichte

Immer wieder werde ich von alten Kemptenern gefragt, was es mit  meinem Rechtsstreit gegen die Stadt Kempten auf sich hat. Es ist schwierig, die Sachverhalte dieser unendlichen Geschichte mit wenigen Sätzen zu schildern. Allein der schriftliche Teil des Streites füllt unterdessen zwei ganze Aktenordner. Für den Altstadtbrief will ich versuchen, die ganze vertrackte Geschichte in geraffter Form zu schildern und dabei die Zusammenhänge so klar wie möglich machen.

Vor über 20 Jahren habe ich die ehemalige Kartonagen-Fabrik meines Vaters abreißen lassen, die in der Stiftsstadt zwischen Weiherstraße und Lorenzstraße gelegen war. Das große Grundstück habe ich begrünt. Eine Fabrik an dieser Stelle, meinte ich, war für die Stiftsstadt nicht mehr zeitgemäß. Die Nachbarschaft sah das hier entstehende Biotop gern.

Als 1992 ein Bebauungsplan für das Stiftsstadt-Areal erstellt werden sollte, wollte ich meiner Familie und mir die Fortgeltung unseres Baurechtes auf unserem Grundstück sichern. Es handelt sich um wertvollen Baugrund in bester Stadtlage, und niemand konnte von mir erwarten, dass ich ihn so ohne Weiteres herabstufen ließ zu billigem, unbebaubarem Gartenland. Ich sah, wie unterdessen die Grundstücke meiner Nachbarn fleißig beplant wurden – teilweise mit relativ großen Baukörpern. Ich reichte also bei der Stadt Kempten eine Bauvoranfrage für mein Grundstück ein. Es gab viele Gespräche mit Vertretern der Stadt, mehrmals stand das Thema im Bauausschuss des Stadtrates auf der Tagesordnung. Am Ende ist ein tragfähiger Kompromiss gefunden worden: Ich dürfe auf meinem Grundstück vier Mehrfamilien-Häuser mit je zwei bis drei Wohnungen errichten. Auf Wunsch der Stadt wurde „Haus 4” nach Westen, über die Trasse des Schlangenbaches, verschoben. In unserer ursprünglichen Planung war die unterirdisch verlaufende, verrohrte Trasse des Baches nicht berührt worden – ein wichtiger Punkt wie sich im ferneren Verlaufe des Streites noch herausstellen sollte.

Dem gefundenen Kompromiss stimmte der Bauausschuss einstimmig zu. In der Ausschuss-Sitzung vom 12.12.1995 erklärte der damalige CSU-Fraktionssprecher und heutige Bürgermeister Josef Mayr die Planung sogar für „vorbildlich”. Wenig später galt das alles nicht mehr. Im neuen städtischen Bebauungsplan, der im Dezember 2001 rechtskräftig werden sollte, erschienen plötzlich von den vier Häusern, die mir 1995 genehmigt worden waren, nur noch zwei. Die „Allgäuer Zeitung” schrieb: „Paradoxe Situation in der Stiftsstadt: Bebauungsplan sieht nur zwei Häuser vor, genehmigt sind aber (noch) vier”. Mein Antrag, die Stadt möge den positiven 95iger Bescheid auf meine damalige Bauvoranfrage doch einfach vier weitere Jahre verlängern, wurde abgelehnt.

Um mein Baurecht durch den geänderten Bebauungsplan nicht zu verlieren, war ich jetzt gezwungen, förmliche Baupläne für die vier genehmigten Häuser einzureichen. Ich erhielt die Baugenehmigung (jetzt gültig bis März 2004) – allerdings unter der Auflage, dass das Liegenschaftsamt einer Überbauung des Schlangenbaches zustimmt. Die Zustimmung dafür holte ich zunächst mündlich ein in einem Telefongespräch mit Herrn Wintergerst  (damals Leiter des Liegenschaftsamtes). Ein schriftlicher Antrag, so hieß es dabei, sei nur noch Formsache. Meinem schriftlichen Antrag stimmte dann auch der stellvertretende Amtsleiter, Herr Endres, wie erwartet ohne Wenn und Aber zu – eine logische Zustimmung, glaubte ich damals, die Überbauung der Schlangenbach-Trasse war ja durch die Stadt veranlasst. Das „KKU”, das für Wasser, Abwasser und Bäder zuständige „Kemptener Kommunal-Unternehmen” der Stadt, hatte unterdessen einer Verlegung des Schlangenbaches zugestimmt.

Im Herbst 2003 habe ich der Stadt schriftlich mitgeteilt, dass ich den Großteil des Grundstücks derzeit baulich nicht unbedingt nutzen wolle, wenn mein Baurecht weiterhin verlängert werden würde. Die Stadt dürfe alsdann damit rechnen, dass ein Großteil des Areals für längere Zeit auch künftig parkähnlich begrünt bleiben werde. Aber die Stadt  lehnte ab. Offenbar hoffte man da heimlich, dass ich gar nicht nicht imstande sein würde, den Baubeginn kurzfristig zu organisieren. Egal, ich stand jetzt vor einem Ultimatum:

  • Entweder ich ließ mein Baurecht mit dem 1. April 2004 verfallen und sah tatenlos der damit verbundenen Wertminderung meines Grundstücks zu
  • oder ich nahm – wider Willen – den Bau der 1995 geplanten und bewilligten Mehrfamilien-Häuser jetzt sofort in Angriff.

Ich ließ die Bagger kommen. Denn ich durfte die gravierende Wertminderung, die mir andernfalls bevorstehen würde, nicht einfach hinnehmen. Im  März 2004 hob der Bagger die Baugruben aus, und ich hoffte, meine Auseinandersetzungen mit der Stadt hätten ein Ende gefunden. Aber ich erfuhr rasch, dass ich mich da neuerlich geirrt hatte. Unmittelbar vor Baubeginn hatte mir die Stadt mitgeteilt, dass sie der Überbauung der Schlangenbach-Trasse doch nicht zustimmen könne. Der Stadt war plötzlich eingefallen, dass Herr Endres vom Liegenschaftsamt gar nicht bevollmächtigt gewesen sei, mir eine Fläche von ca. zwölf Quadratmetern  für die Überbauung zu überlassen. Dabei ist Herr Endres seit über 15 Jahren stellvertretender Leiter des Amtes und durfte seit über 15 Jahren Kaufverträge genau wie der Leiter des Amtes beim Notar beurkunden.

Aber auch aus anderem Grunde, sagte die Stadt, sei die Genehmigung der Bachüberbauung hinfällig: Es sei leider versäumt worden, die vorgeschriebene Gebühr für die Nutzung der Schlangenbach-Trasse einzutragen und zu erheben – ein Betrag von immerhin rund 22 Euro jährlich. Die Trasse liegt unterirdisch auf etwa zwölf Quadratmetern städtischem Grund, das bliebe städtischer Grund, auch wenn ich ihn überbauen würde. Doch der bayerischen Gemeindeordnung zufolge dürfe kein gemeindliches Grundstück einem Bürger kostenlos zur Nutzung überlassen werden, sonst sei der Vertrag nichtig. – Kaum zu glauben: Die Stadt stützte den Widerruf des ursprünglich gewährten Nutzungsrechts auf ihr eigenes Versäumnis! Jetzt half nichts mehr. Ich musste zu Gericht. Nördlich von meinem Grundstück waren unterdessen zwei großvolumige Mehrfamilien-Häuser fertiggestellt und bezogen worden, ein drittes, noch im Bau, steht südlich des Wohnblocks, der hier wie ein Riegel die ganze Breite zwischen Weiher- und Lorenzstraße einnimmt. Auf dem großen Gartengrundstück war früher nur ein kleines Holzhaus gestanden. Das Gebäude, das die „Sozialbau” jetzt hier errichtet, füllt den Großteil des  Grundstücks aus. Unmittelbar südlich davon grenzt mein Baugrund an. Bauherrin aller drei oben genannten Häuser ist die ”Sozialbau” – eine 100prozentige Tochter der Stadt Kempten, Aufsichtsrats-Vorsitzender: Oberbürgermeister Dr. Netzer.

Das städtische Schlangenbach-Grundstück, das wir nicht überbauen durften, das durfte gleich nebenan von der Firma „Sozialbau” ohne Weiteres überbaut werden.  Die Baugrube für mein „Haus 4” habe ich wieder zuschütten lassen  – bis auf Weiteres jedenfalls. Den Schaden klage ich mit ein.

Interessenten an den „Sozialbau”-Wohnungen auf dem Nachbar-Grundstück erhielten übrigens Exposés, in denen die auf meinem Grundstück geplanten Häuser 3 und 4 einfach vergessen worden waren. Potenzielle Kunden der „Sozialbau”, die sich vorsorglich bei uns über unsere Pläne für mögliche Nachbarschafts-Bebauung informieren wollten, waren ziemlich entsetzt. Das „Sozialbau”-Haus, wie gesagt nahe der Nordgrenze meines Grundstücks, läge von meinem geplanten „Haus Nr. 4” nur neun Meter weit entfernt – in der Tat ein erhebliches Verkaufshindernis. Vielleicht hätte die Stadt doch auch die „Sozialbau”-Pläne ein wenig stutzen sollen?

Der augenblickliche Sachstand: Auf meinem Grundstück stehen unterdessen auf Seiten der Weiherstraße – an jenem Stück, wo der Langstreifen des Kinderspielplatzes liegt und daneben der Fußgänger- und Radweg verläuft – zwei Mehrfamilien-Häuser. Das südlichste Gebäude auf dieser Seite, kurz vor der Gasse Schleienweiher (mein „Haus 1”), will ich erst später errichten; mein Baurecht gilt hier unbestritten weiter. Der Rechtsstreit mit der Stadt geht um das Baurecht auf der diagonal gegenüberliegenden Seite, in der nordwestlichen Ecke meines Grundstücks an der Lorenzstraße. Hierfür liegt eine rechtskräftige Baugenehmigung vor, auf deren Gültigkeit ich bestehen werde. Den Widerruf der Schlangenbach-Überbauung halte ich für illegal, die Begründungen dafür sind rechtlich unhaltbar. Der Bürger muss sich auf Zusagen seiner Stadtverwaltung verlassen dürfen.

Die Stadt hat unterdessen beantragt, den Streitwert der Sache zu erhöhen. Die Aussicht auf fortan weit höhere Gerichts- und Anwaltskosten sollen mich offenbar zum Nachgeben pressen. Ich werde mich dem nicht beugen. Ich bin bereit, diesen Prozess durch alle Instanzen zu gehen. Wenn dann die Stadt den Rechtsstreit verliert  – und damit rechne ich fest – wird sie am Ende die gesamte Zeche bezahlen müssen – Gerichtskosten, Anwaltskosten und Schadenersatzforderungen. Ich gebe zu, die Stadt kann das Kostenrisiko leichteren Herzens auf sich nehmen als ich: Die Stadt kann die Niederlage aus den Steuergeldern meiner Mitbürger bezahlen.

Von Nikolaus Immler

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