Unter diesem Titel beginnt eine neue Reihe, die sich mit den traditionellen und aktuellen Aufgaben und Herausforderungen des Archivwesens am Beispiel des Stadtarchivs Kempten beschäftigt.
Erster Teil: Archiv, Kulturarbeit und Öffentlichkeit
- Wo stehen Archive, wo steht das Stadtarchiv Kempten heute in der Kulturarbeit?
- Was meint eigentlich Kultur, was meint Kulturarbeit konkret auf das Archiv bezogen?
Wenn Kulturarbeit zunehmend im Sinne eines umfassend quantitativen Veranstaltungsmarketings verstanden und eingefordert wird (Stichworte: möglichst viel „Output“, Erlebnis- und Freizeitgesellschaft), hat dies nur bedingt etwas mit qualitativ hochwertiger Archivarbeit zu tun, die in Anspruch nehmen darf, selbst ein Stück Kultur und Kulturarbeit zu sein.Von der lateinischen Wortbedeutung des sein „Feld bestellen, etwas pflegen, sich kümmern“ her leistet genau das die „innere“, stille, unspektakuläre Archivarbeit hinter den Kulissen mit der Bearbeitung und Pflege der Bestände nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabenkatalog. Bei aller selbstverständlich längst auch im Archiv praktizierten und notwendigen Öffnung nach draußen darf ein Archiv aber nicht wie ein Veranstaltungsmanager Events anbieten, koordinieren, verwalten und vermarkten. Damit will gesagt sein, dass Archivarbeit nicht das Mitmachen-Müssen bei allen möglichen Arten von Veranstaltungen bedeutet, was eine Beteiligung im Einzelfall – wo sinnvoll möglich – natürlich nicht ausschließt. So bot etwa die Beteiligung am großen „Residenzplatzfest“ 2002 in Form historischer Kurzvorträge durch den Stadtarchivar – die historische Komponente dieses Events durfte ja nicht vergessen werden – eine willkommene Gelegenheit zum Mitmachen. Es gilt, den Spagat zwischen innerer Archivarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, zwischen Pflicht und Kür bzw. Zusatzangebot zu meistern, wobei auch die Kernaufgaben eines Archivs durchaus auch öffentlichkeitswirksam sein können. Welches sind die Kernaufgaben?
Es handelt sich um die Übernahme, Verzeichnung, Erschließung und Restaurierung von Archivgut (in unserem Fall in erster Linie das städtische Verwaltungsschriftgut), die Vermittlung stadtgeschichtlicher Informationsdienste, die „Anreicherung” des Archivgutes mit zusätzlichen Dokumenten zur Stadtgeschichte, die Erforschung von Themen zur Stadtgeschichte und/oder deren Betreuung und Mitwirkung daran, die Fortschreibung der Stadtchronik und nicht zuletzt das Bereitstellen von Archivalien für den Benutzer und seine Beratung. Hier wird deutlich, dass sich Archive heute in besonderem Maße auch als Dienstleistungsbetriebe verstehen.
Der Aspekt einer wünschenswerten und möglichst weit gehenden Öffentlichkeit darf aber nicht dazu führen, dass wichtige interne und notwendige Pflicht- und Langzeitaufgaben vernachlässigt werden. Dazu zählen beispielsweise die fortlaufende Neuorganisation und Anpassung von Teilbereichen des Archivs, verbunden mit der Neu- und Umorganisation von Räumen (Magazinen) und Beständen oder auch die erstmalige exakte Erfassung eines Bestandes.
Dass ein Archiv schließlich nicht beliebig öffentlich und verfügbar sein kann, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Bestände in aller Regel unwiederbringliche Unikate sind – damit stehen die Archive innerhalb des Bereichs kulturgüterverwaltender Institutionen konkurrenzlos da.
Stark öffentlich betonte Events mit einem Archiv als „Grabbeltisch Marke Schlussverkauf“ verbieten sich von selbst auch für eine Einrichtung wie das Stadtarchiv Kempten, verwahrt es doch das über ein halbes Jahrtausend zurückreichende rechtserhebliche und historische Schriftgut der gesamten Stadtverwaltung und ist damit nichts weniger als das „Gedächtnis der Stadtverwaltung“ und so gesehen mit die wichtigste Einrichtung innerhalb der Stadtverwaltung überhaupt – an der dreidimensionalen Nahtstelle zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Von Dr. Franz-Rasso Böck, Stadtarchivar