Burghalde: Neues Allgäuer Burgenmuseum

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Ob jemand katholisch oder evangelisch ist, bietet heutzutage zum Glück keinen Grund mehr zu feindlichen Auseinandersetzungen. Dies war im 16. und 17. Jahrhundert anders. 2005 jährten sich in runder Weise zwei wichtige Ereignisse auf dem Weg zum friedlichen Miteinander der beiden großen christlichen Konfessionen: Vor 475 Jahren, 1530, wurde die Confessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis verfasst, und vor 450 Jahren, 1555, wurde der Augsburger Religionsfriede geschlossen.
Das Stadtarchiv Kempten nahm diese beiden Jahreszahlen zum Anlass, in Zusammenarbeit mit der Bibliothek der St.-Mang-Kirche in einer Ausstellung zu zeigen, „wie Kempten evangelisch wurde”, welchen Einfluss die Reformation auf die Geschichte der Reichsstadt und damit auch des Fürststiftes Kempten hatte.

1. Die Einführung der Reformation in der Reichsstadt Kempten

Zwischen dem Augsburger Reichstag 1530 und dem Restitutionsedikt 1629 eröffnete der Religionsfriede 1555 für die Reichsstadt Kempten im Prozess der Konfessionalisierung weitere Mög­­­­­lichkeiten, ihre noch junge Un­abhängigkeit vom Stift zu festigen, auszubauen und eigene politische und kirchenpolitische Wege zu gehen. In Kempten haben wir das historische Kuriosum einer Doppelstadt: Über Jahrhunderte gab es hier auf engstem Raum die Nachbarschaft zweier Reichs­stände, des Fürststifts und der Reichsstadt Kempten, deren Verhältnis zwischen offener Feindschaft, Ko­existenz und Kooperation wechselte. Die zunächst politischen und wirtschaftlichen Gegensätze erhielten durch den Bauernkrieg und die Reformation eine zusätzliche Ausprägung. Seit 1289 war Kempten durch einen Freibrief König Rudolfs I. von Habsburg auf dem Papier zwar reichsfrei, blieb aber tatsächlich eine „höchst unfreie Reichsstadt”, in deren Mauern weiterhin der Fürstabt das Sagen hatte. Erst durch den „Großen Kauf” 1525, als die Stadt die im Bauernkrieg bedrängte Lage des in ihre Mauern geflüchteten Fürstabtes nutzte und dessen letzte Rechte in der Bürgerstadt weitgehend ablöste, wurde Kempten sehr spät in seiner  Entwicklung eine Freie Reichsstadt.
Die reformatorische Predigt fand wohl schon 1518 Eingang in die Stadt, wo seit 1507 Magister Sixtus Rummel Pfarrer an der St.-Mang-Kirche war.  Im Nachlass des stets auf Ausgleich bedachten Geistlichen finden sich zahlreiche Schriften Luthers. Rummels Kapläne Johannes Rottach und Johannes Seger waren wie er selbst gemäßigt lutherisch, der wortgewaltige Redner Jakob Haystung aber streng zwinglianisch eingestellt.

Nach Einführung der Reformation durch den Rat 1527 unterzeichnete die Reichsstadt Kempten 1529 die Protestatio von Speyer und 1530 die Confessio Augustana,  womit der Weg zu einer Reformation lutherischer Prägung beschritten schien. Als 1529 Rummel starb, gewann Haystung, der bereits 1527 zum ersten Prediger an St. Mang bestellt worden war, mit der zwinglianischen Partei rasch die Oberhand und beeinflusste die Entscheidungen des Rates. 1532 ließ Haystung darüber abstimmen, alle Heiligenbilder und Altartafeln aus der St.-Mang-Kirche zu entfernen. Der Rat führte die Abstimmung der Bürgerschaft nach Zünften getrennt durch – wohl wissend, dass die Zwinglianer in der Handwerkerschaft eine deutliche Mehrheit besaßen. So kam es im Januar 1533 zum „Bildersturm” und zur Entlassung der lutherischen Kapläne Rottach und Seger, die durch die Zwinglianer Magister Paul Roßdorfer und Veit Kappeler aus den Kantonen Glarus und Thurgau ersetzt wurden. Damit hatte sich die zwinglianische Partei in Kempten durchgesetzt, wie in den meisten oberdeutschen Reichsstädten.

Außenpolitisch verhielt sich die Reichsstadt lange Zeit neutral und trat wie Augsburg erst 1536 dem bereits 1531 gegründeten Schmalkaldischen Bund bei, jener gegen Kaiser und Schwäbischen Bund gerichteten Allianz der protestantischen Fürsten. Der Druck der reichspolitischen Notwendigkeiten war zu groß geworden, als dass die Stadt weiterhin hätte taktieren und lavieren können.
Mochte sich durch den Beitritt Kemptens zum Schmalkaldischen Bund außenpolitisch der allmähliche Übergang zum Luthertum abzeichnen, so blieben doch die Kirchenordnung und das Leben in der Stadt noch auf Jahrzehnte im Sinne der reformierten Lehre zwinglianisch geprägt.

2. Das Wirken des slowenischen Reformators Primus Truber in der Reichsstadt Kempten

1548 bis 1551 scheiterte auch in Kempten das nach dem letzten Sieg Kaiser Karls V. (Schlacht bei Mühlberg 1547) verabschiedete Augsburger Interim, das die Religionsfrage vorläufig regeln sollte, am Widerstand von Rat und Bürgerschaft. Angesichts einer Visitation des Augsburger Bischofs gab der Kemptener Rat den Bestimmungen des in den wesentlichen Punkten katholisch gehaltenen Interims, das der evangelischen Seite lediglich Laienkelch und Priesterehe zugestehen wollte, zunächst nach und duldete in der St.-Mang-Kirche, die auch für den katholischen Pfarrer von St. Lorenz geöffnet wurde, wieder Altarbilder und Kirchenschmuck. Nach Abschluss der Visitation jedoch befolgte der Rat keineswegs weiterhin die Bestimmungen des Interims. Mit dem endgültigen Scheitern des Interims in der Reichsstadt setzte für die noch junge evangelische Gemeinde Kemptens nach äußeren Bedrohungen und heftigen innerprotestantischen Auseinandersetzungen der Reformationszeit eine Phase der Kontinuität und Stabilität ein. Dies war besonders dem Wirken des slowenischen Reformators Primus Truber (1508-1586) zu verdanken, den der Rat zur grundlegenden Neuordnung des Kirchenwesens 1553 nach Kempten berufen hatte. In der Tat fand Truber in der Reichsstadt Kempten ein Kirchenwesen vor, das noch immer stark an der zwinglianischen Reformation orientiert war. Doch war das konfessionelle Klima in der Reichsstadt nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 (Kempten wurde auf dem Reichstag in Augsburg von seinem Stadtschreiber, Archivar und Chronisten Bartholomäus Holdenriedt vertreten) spürbar offener geworden.

Dies kam Trubers Haltung entgegen, in Glaubensfragen zwischen der lutherischen und der reformierten Linie zu vermitteln. Truber wollte nicht den radikalen Bruch mit der zwinglianischen Tradition, sondern diese behutsam abschwächen und der lutherischen Praxis anpassen. Mit dieser vermittelnden Position vermied Truber neue Spannungen in der Kemptener Gemeinde. 1561 übernahm Truber auf Ruf der krainischen Stände das Amt eines Kirchenvorstehers und Superintendenten in Laibach – der Abschied wurde für beide Seiten nicht leicht, die Kemptener Stadtväter ließen den beliebten Prediger nur ungern ziehen. Als Truber 1564 eine Kirchenordnung für Slowenien schuf, kamen ihm auch seine Kemptener Erfahrungen zugute. Infolge der gegenreformatorischen Politik erneut vertrieben, verbrachte er die letzten 20 Jahre seines Lebens in Derendingen bei Tübingen und wurde durch die Übersetzung des Neuen Testamentes in seine Muttersprache zum Begründer der slowenischen Schriftsprache. In seiner kurzen Kemptener Zeit aber hat Truber viel erreicht und fruchtbare Spuren hinterlassen. Seine ausgleichende Haltung hat der evangelischen Kirche Kemptens den Weg zu einem – durch die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens vorgeschriebenen – Luthertum auf der Grundlage der Confessio Augustana geebnet. Diese Entwicklung erreichte ihren Ab­schluss am 5. August 1577, als die Kemptener Prediger Otmar Stab, Johann Tilianus und Daniel Wonner mit dem Rektor der Lateinschule, Michael Flach, die Konkordienformel unterzeichneten. Diese enthielt eine authentische und verbindliche Auslegung der Augsburger Konfession, durch die die innerlutherischen Streitigkeiten beendet und der konfessionelle Status des Augsburger Religionsfriedens gesichert wurden. 1579 ertönte in der St.-Mang-Kirche wieder Orgelmusik und 1605 wurde auch die Privatbeichte wieder eingeführt, was belegt, dass sich das Luthertum nun auch in der Kirchenordnung endgültig gegenüber dem Zwinglianismus durchgesetzt hatte.

3. Nachspiel Restitutionsedikt

1627/28 bildeten der Kemptener Fürstabt Johann Euchar von Wolffurt (1616-1631) und der Augsburger Bischof Heinrich I. von Knöringen (1598-1646) eine Allianz gegen die Reichsstadt Kempten:
Der Abt, um die Vogtei über die Stadt wieder zu erlangen, der Bischof, um in Kempten tatsächlich nicht mehr bestehende Ansprüche der Katholischen durchzusetzen. Die beiden geistlichen Fürsten konnten dabei auf die Unterstützung des Kaisers rechnen, der auf dem Höhepunkt seiner Macht im Dreißigjährigen Krieg alle den Katholiken seit 1552 entfremdeten Bistümer, Stifte, Klöster und Kirchen durch das so genannte Restitutionsedikt (1629) wiederherstellen wollte. Auf die Reichsstadt Kempten trafen die Bestimmungen des Edikts genau genommen nicht zu: Die Pfarrei St. Mang war schon 1527, also lange vor dem Stichjahr 1552, evangelisch ge­worden. Allerdings zwang die kaiserliche Kommission, die eine Rekatholisierung Kemptens prüfte, den Magistrat unter Gewaltandrohung, den Wortführer der Evangelischen, Dr. Georg Zeämann, auszuliefern, der vorübergehend auf der Feste Ehren­berg bei Reutte inhaftiert wurde (und seine Tage 1638 im schwedischen Stralsund beschloss). Der Ausbruch der Pest verhinderte dann zu­nächst die Rekatholisierungsversuche. 1630 unternahmen die kaiserlichen Kommissäre einen neuen Vorstoß und versuchten, das Restitutionsedikt mit Einführung des katholischen Gottesdienstes in der St.-Mang-Kirche (oder wenigstens eine gleichberechtigte katholische Mitbenutzung, das Simultaneum) und der geistlichen Schulaufsicht durchzusetzen, scheiterten aber am Widerstand des Rates, der mit seiner durch erneut drohende Kriegshändel begünstigten Verzögerungspolitik die Oberhand behielt. Das reichsweite Scheitern des Restitutionsedikts zeichnete sich 1630 auf dem Kurfürstentag in Regensburg ab, als der Kaiser einer Überprüfung des Edikts zustimmen musste; im Frieden von Prag 1635 musste er es ganz aufgeben.

Trotz schwerer Zeiten beging die Reichsstadt in diesem Jahr 1630 ein Jubelfest zum hundertjährigen Bestehen der Confessio Augustana. Die Freude währte nicht lange, denn 1632 und 1633 zerstörten sich Stadt und Stift Kempten mit Hilfe der Schweden bzw. der Kaiserlichen gegenseitig.

Von Roger Mayrock und Birgit Kata

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