Das Hochwasser vom 23. August 2005

Ergebnisse und Konsequenzen des Illerhochwassers

Rosenaubrücke im Hochwasser

Das Illerhochwasser vom 23.08.2005 ist in einer in Kempten bisher noch nicht bekannten Größe abgelaufen und hat – dank der bestehenden bzw. neu errichteten Hochwasserschutzanlagen – im Vergleich zum Pfingsthochwasser 1999 geringere Schäden verursacht.

Dank gilt allen Verantwortlichen, die die Schutzanlagen nach 1999 rechtzeitig ergänzt haben und während des Katastrophenfalles tätig waren.

Zuerst einige Daten:

Höchster Wasserstand am Pegel Kempten:

  • 22.05.1999, 18.00 Uhr, 6,21 m = 300-jährliches Ereignis
  • 23.08.2005, 14.00 Uhr, 6,42 m = 500-jährliches Ereignis

Max. Niederschlagshöhe/24 Stunden

  • 22.05.1999, 265 mm am Pegel Oberjoch,
  • 23.08.2005, ca. 180 mm am Pegel Oberstdorf

Die Gesamtniederschlagsmenge lag jedoch 2005 wegen der umfangreichen flächigen Überregnung um ca. 30 % über den Werten von 1999. Die Hochwasserwelle lief überwiegend tagsüber ab, was die Arbeit der Einsatzkräfte deutlich erleichtert hat. Im Gegensatz zu 1999 musste 2005 der Katastrophenfall ausgelöst werden; als Folge davon wurden Bewohner aus Teilen der tiefliegenden Altstadt entlang der Iller evakuiert. Die Aktion mit einer Übernachtung in der BigBox ist – auch dank des Verhaltens der Evakuierten, die viel Verständnis gezeigt und den Helfern die Arbeit damit erleichtert haben – mustergültig organisiert worden und planmäßig abgelaufen. Die Hochwasserschädensummen im Stadtgebiet Kempten betrugen:

  • 22.05.1999 ca. 3,3 Mio. EUR,
  • 23.08.2005 ca. 1,6 Mio. EUR.

Alle Teile der Stadt, die durch Hochwasserschutzanlagen gesichert waren, sind „trocken” geblieben.
Das Augusthochwasser 2005 hat jedermann bewusst gemacht, dass sich Kempten aufgrund des Klimawandels auf noch extremere Hochwasser einrichten muss, die in immer kürzeren Zeitabständen folgen können. Warnende Aussagen von Wasserwirtschaftlern, Meteorologen und Klimaexperten können nicht mehr als „panikmachendes dummes Geschwätz” abgetan werden. Das heißt, dass konsequent Analysen zum Hochwasser anzustellen sind, um mögliche Schwachstellen aufzudecken und im Interesse des Schutzes der in Gefahrenzonen lebenden Bevölkerung zu beheben. Von besonderer Bedeutung sind überörtlich wirksame Vorhaben. Hierzu gehört die schnelle Verwirklichung des bereits im Bau befindlichen gesteuerten Hochwasserpolders an der oberen Iller bei Seifen, mit dem nach Angaben des Wasserwirtschaftsamtes die Abflussspitze der Iller in Kempten bei seltenem Hochwasser um ca. 0,50 m reduziert werden kann. Von großer Wichtigkeit ist weiterhin die Verbesserung der mathematischen Niederschlags-Abflussmodelle für das Einzugsgebiet der Iller, die von der Wasserwirtschaftsverwaltung entwickelt werden, um damit Hochwasserereignisse zeitgerecht besser, als dies im Vorfeld 2005  erfolgen konnte, vorherzusagen und das Hochwasserpolder im Oberlauf der Iller richtig zu bewirtschaften.

Für Kempten ist es jedoch genau so wichtig, dass folgende ergänzende lokale Maßnahmen – quasi als Lehren aus dem Hochwasser – überlegt und diskutiert, ggfs. geplant und ausgeführt werden:

1. Beseitigung der Rosenaubrücke, die sich in ihrem jetzigen Bestand überraschend zum größten Gefahrenpotential während des Hochwassers 2005 entwickelt hat. Sie war die Ursache für die Evakuierung der gefährdeten Altstadtbereiche, da die Besorgnis bestand, dass der mit angeschwemmtem Treibgut verklauste und eingestaute Brückenüberbau durch den Strömungsdruck von den Auflagern heruntergeschoben hätte werden können. Damit wäre eine teilweise Verlegung des Abflussquerschnitts des Illerbettes entstanden mit der Folge einer massiven Überflutung der Schutzdämme und -mauern und Eindringen von Wassermassen in tiefliegende Teile der Altstadt. Eine unmittelbar nach dem Hochwasser unter H. Voigdt spontan entstandene Bürgerinitiative hat die Forderung zur Beseitigung des Gefahrenherdes an die Stadt gestellt und hierzu 673 Unterschriften von betroffenen Kemptener Bürgern vorgelegt.

2. Veränderungen an der St.-Mang-Brücke, deren Überbau – wie schon 1999 – massiv eingestaut war und als gefährliches Abflusshindernis wirksam war. Eine Brücke soll nach den Regeln der Technik bei seltenen Hochwasserabflüssen einen Freibord (= Abstand vom Wasserspiegel zur Unterfläche des Brückenüberbaus) von mindestens 0,50 m haben. Wird dieses Maß unterschritten, besteht die Besorgnis, dass sich angeschwemmtes Treibgut der Iller aufgrund ihres wildflussartigen Charakters festsetzen und den Abflussquerschnitt einengen kann. Im Rahmen des von der Stadt Kempten fortgeschriebenen Katastropheneinsatzplanes wird in Zukunft sichergestellt, dass bei seltenem Hochwasser auf der St.-Mang-Brücke ein leistungsfähiger Bagger platziert wird, der eine Verklausung der Brücke verhindert.

3. Stützenfreier Umbau des Fußgängersteges zwischen Pfeilergraben und Illerdamm.

4. Ursachenforschung für die Austritte von Illerwasser aus den Straßeneinläufen im Bereich Alter Holzplatz einschließlich deren Behebung.

5. Beseitigung des mobilen Stahltores in der Hochwasserschutzmauer am Allgäuer Überlandwerk-Parkplatz Süd und Ersatz durch eine Mauer.

6. Die mobilen Hochwasserschutzelemente am Weidacher Weg weisen keine obere horizontale Auflage auf. Sie sind im Gegensatz zu den angrenzenden Schutzmauern nicht durch Auflegen von Sandsäcken erhöhbar. Eine Nachrüstung bietet sich an.

7. Regelmäßige Übungen zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Hinterlandentwässerungen und der Betriebssicherheit der Pumpwerke in den Regenrückhaltebecken bei gleichzeitigem Probelauf der mobilen Notstromaggregate.

8. Erarbeitung der fachlichen Grundlagen für eine Gefahrenkarte in der Stadt Kempten. Die alte Kartierung als Ergebnis des Hochwassers aus dem Jahr 1910 ist überholt. Falls es zu einem Versagen der Hochwasserschutzanlagen kommen sollte, sind Angaben zu den betroffenen Gebieten für Hausbesitzer wichtig, um ggfs. Vorsorge zum Schutz ihres Eigentums treffen zu können.

9. Verbesserungen zu Art und Umfang der Informationen der Bürger durch den lokalen Radiosender während des Hochwassers. Positiv hervorzuheben ist zwar, dass die erste Gefahrenmeldung vor dem Hochwasser noch in der Nacht gegen 3.45 Uhr unmittelbar nach der Sirenenwarnung in der Stadt Kempten von Radio RSA verbreitet wurde. Radio RSA hat hierfür seinen Sendebetrieb vorzeitig aufgenommen. Damit hatten betroffene Bürger die Möglichkeit, mit ihren Vorsorgemaßnahmen frühzeitig zu beginnen. Obwohl es im Laufe des Tages weitere Informationsquellen gab – Bürgertelefon, Lautsprecherdurchsagen, andere Radiosender, Fernsehprogramme, Gespräche mit Nachbarn – hätten sich viele Bürger tagsüber eine größere Dichte und Qualität bei der Unterrichtung durch Radio RSA gewünscht. Dem lokalen Radiosender kommt die größte Bedeutung zu, da er top­aktuell sein kann, kurze Informationswege hat und ein Kommunikationsnetzwerk zu den verantwortlichen Behörden und Entscheidungsträgern aufgebaut hat.

10. Überarbeitung des bestehenden Hochwasser-Merkblattes der Stadt Kempten durch Aufnahme zusätzlicher Informationen wie z.B. Angaben über gefährdete Gebiete (siehe Ziffer 8.), Anleitung zur Selbsthilfe der Bürger (z. B. Erstellung von mobilen Teilen, die vor Türen, Fenstern, in und an Kellerlichtschächten an­gebracht werden), Angaben zur Förderung von Selbsthilfemaßnahmen der Bürger mit öffentlichen Mitteln (gibt es zurzeit noch nicht!), Einschränkung der Bürgerrechte im Katastrophenfall…

11.Umnutzungen in nicht geschütztem Überschwemmungsgebiet durch Verlegung von Anlagen (Friedhof, Kleingartenanlagen, Spielplätze, Reiterhof…). Vermeidung von neuer Bebauung, insbesondere von Wohnungen im Gefahrenbereich der Iller, zu­mindest jedoch Zurückverlegen bereits baurechtlich genehmigter Vorhaben vom Illerufer in das weniger gefährdete Hinterland.

12. In der Schweiz verbreiten Radio- und Fernsehsender bei Hochwasser die regelmäßige Aufforderung, sich von Ufern von Flüssen und Seen fernzuhalten, da Lebensgefahr besteht. Es ist sinnvoll, auch bei uns in gleicher Weise vorzugehen. Nur wenige an Flüssen gelegene Städte können sich auf Hochwasserschutzeinrichtungen verlassen, die einen so hohen Schutzgrad wie in Kempten aufweisen. Dafür gebührt dem Wasserwirtschaftsamt als Planer und Bauherr hohes Lob und große Anerkennung.

„Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser” lautete die Überschrift eines Kommentars in der Allgäuer Zeitung aus den Tagen nach dem Hochwasserereignis. Fürwahr, ein wichtiger Hinweis! Gilt es doch, Verbesserungen, soweit möglich, vorzunehmen. Weitere Vorkehrungen für einen künftigen Ernstfall wurden bereits getroffen. Uns bleibt nur, zu hoffen, dass die bisherige Erfolgsstory „Hochwasserschutz bedeutet Daseinsvorsorge für Kemptener Bürger” erfolgreich fortgesetzt werden kann.

Von Baudirektor a. D. Dieter Schade

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