Gedanken zur Entwicklung der Altstadt

Die Entwicklung der Altstadt aus Anlass der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes der Stadt Kempten

Die Stadt Kempten bearbeitet derzeit die Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes mit integriertem Landschaftsplan. Für die Altstadt wurden die Entwicklungsziele noch nicht festgelegt. Es ist sinnvoll, hierzu Wünsche und Anregungen der Freunde der Altstadt jetzt einzubringen. Die Stadt beabsichtigt, den Entwurf bis zum Frühjahr 2007 fertigzustellen. Bei den verschiedenen Planauslegungen und Informationsveranstaltungen haben die Bürger die Möglichkeit zu diskutieren (Gespräch mit Frau Beltinger, Baureferentin der Stadt Kempten am 15.11.2006).

1. Bevölkerungsentwicklung

Das Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung hat für Kempten für die kommenden 15 Jahre ein Bevölkerungswachstum von 2200 bis 4400 Einwohner, das heißt ca 0,25 bis 0,5% pro Jahr prognostiziert. Die Stadt Kempten hat damit einen zusätzlichen Wohnbauflächenbedarf von ca. 40 ha bei der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes begründet (Frau Beltinger im Stadtrat der Stadt Kempten in der 41. Woche 2006, Kreisbote vom 18.10.2006).
Obwohl die Bevölkerung in den letzten 15 Jahren in etwa konstant geblieben ist (Statistische Jahrbücher der Stadt Kempten 1993 und 2003, Jahresbericht Kempten 2005, Amt für Wirtschaft und Stadtentwicklung), basiert die Wachstumsannahme für die Stadt darauf, dass es künftig zu einem Zuzug aus den Gemeinden des Altlandkreises Kempten kommen wird. Diese Gemeinden sind in den Jahren 1990 bis 2003 von über 56.000 auf über 65.000 Einwohner, das heißt überdurchschnittlich stark gewachsen. Wenn nach der Statistik aufgrund einer „Landflucht“ eine Chance für ein Wachstum der Stadt besteht, wird die Stadt das nutzen und Wohnbauflächenreserven schaffen (Gespräch mit Frau Beltinger, Baureferentin der Stadt Kempten am 15.11.2006).

Da die Bevölkerung Deutschlands künftig stark abnehmen wird, wird das für Kempten prognostizierte Bevölkerungswachstum kritisch beurteilt. Der neueste Report des Statistischen Bundesamtes zeigt einen drastischen Bevölkerungsrückgang auf, der auch durch eine anhaltende Zuwanderung nicht mehr aufzuhalten ist. Danach wird bis zum Jahr 2050 die Einwohnerzahl von derzeit 82,4 auf 69 bis 74 Millionen sinken (Studie des Statistischen Bundesamtes, vorgestellt von W. Rademacher, Vizepräsident, am 07.11.2006, Süddeutsche Zeitung vom 08.11.2006).

Davon wird auch Kempten nicht ausgenommen sein. Es ist deshalb fraglich, ob die Wachstumsprognose im derzeitigen Entwurf des Flächennutzungsplanes der Stadt Kempten zutreffen wird.

2. Altersstruktur
Die Altersstruktur der Bevölkerung Kemptens ist schon immer davon geprägt, dass es überdurchschnittlich viele alte Menschen gibt. Im Jahr 2003 wurden 12.993 über 65-Jährige, das sind 19 Prozent der Einwohner, festgestellt. Im Jahr 2005 ist die Zahl der alten Menschen auf 13.690 oder 20,9 Prozent weiter angestiegen (Statistische Jahrbücher der Stadt Kempten 1993 und 2003, Jahresbericht Kempten 2005, Amt für Wirtschaft und Stadtentwicklung). Sowohl in Bayern als auch in Deutschland betrug der Anteil der über 65-Jährigen dagegen nur knapp 16 Prozent (Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2000). Oder anders gesagt: In Kempten leben 20 Prozent mehr alte Menschen als im Durchschnitt in Bayern und Deutschland. Wertet man die Statistik für die Altstadt Kemptens aus, stellt man fest, dass der Anteil alter Menschen in der „Reichsstadt“ (Stadtbezirk 39) dem Durchschnitt Kemptens entspricht. Der Anteil im Gebiet „Unter der Burghalde“ (Stadtbezirk 82) liegt dagegen mit 12,4 Prozent deutlich darunter (Sanierungserfolg!) (Statistische Jahrbücher der Stadt Kempten 1993 und 2003, Jahresbericht Kempten 2005, Amt für Wirtschaft und Stadtentwicklung).
Die Prognose des Statistischen Bundesamtes, dass der Altersdurchschnitt der Deutschen im Jahr 2050 von derzeit 42 auf 50 Jahre steigen wird, dürfte mit Sicherheit tendenziell auch für Kempten gelten. Auf jeden unter 20-Jährigen würden dann zwei über 65-Jährige kommen. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich bundesweit von vier auf zehn Millionen fast verdreifachen. Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl der pflegebedürftigen Senioren stark ansteigen wird und die Altersarmut zunimmt.

3. Ausländerentwicklung
Während die Zahl der Ausländer in Kempten bis zum Jahr 1978 unter 5000 lag, hat sie sich aufgrund einer starken Zunahme in den 80er und 90er Jahren bis zum Jahr 1999 auf über 8000 Personen erhöht. In den letzten Jahren ist ein leichter Rückgang feststellbar. Der Ausländeranteil lag im Jahr 2002 bei 17 Prozent und ist bis zum Jahr 2005 auf 13,7 Prozent gesunken. Die Personen aus der Türkei sind mit ca. 36 Prozent die größte Ausländergruppe (Statistische Jahrbücher der Stadt Kempten 1993 und 2003, Jahresbericht Kempten 2005, Amt für Wirtschaft und Stadtentwicklung).
Eine Auswertung für die Altstadt ergibt, dass der Ausländeranteil überdurchschnittlich hoch ist. Die Stadtbezirke „Reichsstadt“ (Stadtbezirk 39) und „Unter der Burghalde“ (Stadtbezirk 82) gehören zu den fünf Stadtbezirken mit der höchsten Ausländerquote (von insgesamt 47 Stadtbezirken). Ihre Anteile betrugen 2003 24,7 Prozent und 23,4 Prozent.

4. Folgerungen aus der Bevölkerungsentwicklung, der Altersstruktur und des Ausländeranteils für die Altstadt.
Den für die Zukunft prognostizierten Fakten „Rückgang und Vergreisung der Bevölkerung“ ist schon heute Rechnung zu tragen. Vom Glauben an ein fortwährendes Wachstum in Deutschland, Bayern, Kempten heißt es Abschied zu nehmen. Der derzeit neu aufgestellte Flächennutzungsplan, der für die nächsten 15 Jahre gelten soll, muss hierauf eingehen. Aufgrund der bestehenden Altersstruktur werden sich die Auswirkungen für die Zukunft Kemptens und seiner Altstadt vermutlich eher noch gravierender bemerkbar machen als anderswo.

Eine beabsichtigte Ausweisung von neuen Wohnbaureservegebieten lässt sich nur sehr bedingt mit den genannten Voraussagen in Einklang bringen. Sie lässt die Sorge bei den sich um die Belange der Altstadt kümmernden Menschen wachsen, dass das Engagement der Stadt für ihre Altstadt geschwächt werden könnte. Zur Verfügung stehende finanzielle Mittel werden möglicherweise anderweitig verwendet und stehen für Vorhaben in der Altstadt nicht zur Verfügung. Das Denken und Handeln der für die Stadt Verantwortlichen in Politik und Verwaltung könnte sich auf andere Projekte konzentrieren mit der Folge, dass die Altstadt zu kurz kommt.

5. Derzeit stattfindende Sanierungen und die Schließung einer Baulücke in der Altstadt
Es ist erfreulich, dass es private Initiativen und städtebauliche Aktivitäten durch Wohnungsbaugesellschaften in der Altstadt schon immer gegeben hat. Sie sind von großer Bedeutung für die Sanierung der Altstadt. Oft sind sie mit Risiken für den Bauherrn verbunden, wenn es sich um Objekte handelt, die unter Denkmalschutz stehen, „altersschwach“ sind oder unklare statische Verhältnisse vorliegen.
Diese Häuser lassen sich nicht immer ertragsorientiert sanieren, auch nicht unter Verwendung von Zuschüssen durch öffentliche Mittel, wie z. B. aus dem Bayerischen Städtebauförderungsprogramm.

Folgende Objekte engagierter Bauherren werden genannt:

  • Ehemaliges Nussmann-Anwesen Ecke Brennergasse/Burghaldegasse der Architekten Maucher & Höß,
  • Beginenhaus, Projekt eines Fördervereins, Burgstraße 3 und 3 a,
  • Bäckerstraße 9 der Architekten Prokop („Lücke wird geschlossen”, Kreisbote vom 25.10.2006),
  • Geschäfts- und Wohnhaus an der Burgstraße, sog. Schwanengelände, Sozialbau Kempten („Lücke wird geschlossen“, Kreisbote vom 25.10.2006).

(Diese Aufzählung ist nicht vollständig.)

6. Gedankliche Ansätze für Handlungsmöglichkeiten zur Sanierung der Altstadt durch Modernisierung von Gebäuden und Revitalisierung von Altstadtquartieren
Wer mit offenen Augen durch die Altstadt geht und das eine oder andere Haus von innen gesehen hat, der weiß, dass Sanierungsbedarf besteht. Brennpunkte sind derzeit die Bäckerstraße (Wohnen!) und die Gerberstraße (Geschäfte!) („Gegenpol zu Filialisten setzen. Gerberstraße kritisch im Blick”, Allgäuer Zeitung vom 16.11.2006). Es ist notwendig, sich „Gedanken um die Steigerung der Attraktivität der Altstadt sowie um die Stärkung der zentralen städtischen Funktionen Wohnen und Arbeiten zu machen” („Lücke wird geschlossen”, Kreisbote vom 25.10.2006).

In der Altstadt befinden sich zahlreiche Einrichtungen zur Alten- und Behindertenpflege. Es bietet sich an, bestehende Häuser altengerecht zu sanieren und „Betreutes Wohnen mit Service” zu schaffen, um den Vorteil der kurzen Wege zu diesen sozialen Einrichtungen zu nutzen. Es hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es Aufgabe unserer Gesellschaft ist, älteren Menschen so lange wie möglich ihre Lebensführung in der häuslichen Umgebung zu erhalten. Deshalb ist es wichtig, dass sie z. B. nach einer Erkrankung mit Aufenthalt in einer Klinik und anschließender Reha wieder mit Hilfe der Familie oder ambulanter Dienste zuhause möglichst selbstständig leben können.

Um einer Überalterung vorzubeugen, ist es notwendig, attraktive Stadt­häuser für junge Familien in der Altstadt zu bauen oder durch Sanierung alter Gebäude zu schaffen. Es gibt europaweit zahlreiche Projekte dieser Art aus der letzten Zeit, sog. Townhouses, mit denen Menschen in die Innenstädte zurückgeholt worden sind. Fachleute sprechen von einer „Renaissance der Stadt” („Das Individuum schlägt zurück”, Süddeutsche Zeitung vom 23./24.09.2006). Die Verdichtung der deutschen Innenstädte, eine Bevölkerungsverschiebung hin zum Stadtzentrum gilt als eine interessante Wende im Lebenskonzept der Jungen, weg vom stadtrandorientierten Denken der Alten („Der überfällige Abschied von der grünen Wiese“, Interview anlässlich der Eröffnung der Architekturbiennale in Venedig am 10.09.2006, Süddeutsche Zeitung vom 04.09.2006). Ein neues Konzept, das die Entwicklungsziele der Altstadt gut ergänzen könnte, wurde in der letzten Zeit politisch ins Gespräch gebracht, das sog. Mehrgenerationenhaus. Es handelt sich hierbei um eine Einrichtung, in der Kindergarten, Jugendzentrum, Seniorenbegegnungsstätte und Altenheim „unter einem Dach” vereint sind. Der Plan gründet auf der Idee, alte Menschen könnten sich jungen Menschen zuwenden und umgekehrt. Häuser dieser Art sollen mit öffentlichen Mitteln gefördert werden („Ein Haus für Alt und Jung. Von der Leyen will das Miteinander der Generationen fördern“, Süddeutsche Zeitung vom 20.11.2006).
Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in der Altstadt ist ein weiteres Ziel, um den Vorteil kurzer Wege zu realisieren. Beispielhaft hierfür ist, was die Firma Soloplan gemacht hat.

Die vorgenannten Zielvorstellungen – „Ausbau der Altenbetreuung, Stadthäuser für junge Familien, Mehrgenerationenhaus, zusätzliche Arbeitsplätze in der Altstadt“ – sind nur zu verwirklichen, wenn die Randbedingungen in der Altstadt verbessert werden und Infrastruktur, soweit sie bereits in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist, wieder ergänzt wird.
Hierzu gehören die Neugestaltung öffentlicher Straßen und Plätze, Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und vieles mehr.

7. Auf welche Weise könnten die notwendigen Entwicklungen in Gang kommen?
Trotz der begrüßenswerten Privatinitiativen können notwendige umfangreiche Sanierungen ohne eine zeitgemäße Gesamtrahmenplanung und ohne finanzielle Hilfen durch die öffentliche Hand nicht in Gang kommen.
Im Rahmen der Aufstellung des ersten Flächennutzungsplanes der Stadt Kempten in den 70er Jahren wurde eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung in Auftrag gegeben, die unter anderem Vorschläge zum Schutz, zur Regeneration und zur aktiven Weiterentwicklung der Altstadt enthalten hat (Stadtbild und Stadtlandschaft, Planung Kempten). Diese Arbeit hat sich langanhaltend und nachhaltig, das heißt äußerst positiv auf die Stadtentwicklung ausgewirkt. Ihre Bedeutung ist allerdings heute verblasst. Eine Fortschreibung dieser Arbeit – wenn auch im wesentlich geringeren Umfang und zu einem geänderten Themenkreis – würde bei der jetzigen Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes sehr hilfreich sein. Sie könnte dazu beitragen, Ziele für die Altstadt zu formulieren und neue Impulse zu geben.
Die hierfür benötigten finanziellen Mittel müssten im Haushalt der Stadt bereitgestellt werden. Die Möglichkeiten, Geld aus der staatlichen Städtebauförderung zu erhalten, wären zu prüfen.

Sollten die stadtplanerischen Untersuchungen im Einzelfall zu dem Ergebnis kommen, dass zur Vermeidung künftiger Fehlentwicklungen Entscheidungen dringend notwendig sind, die mit Kosten verbunden sind, ist zu prüfen, ob hierfür ggfs. nicht eine Städtebaugesellschaft in Vorleistung treten kann. Hierfür könnten z.B. Grunderwerb, Hauskauf … in Frage kommen. Zum Schultern großer Bauaufgaben in der Altstadt, wie z. B. bei der Revitalisierung eines ganzen Altstadtquartiers wäre ferner eine Konzentration der Kräfte öffentlich-rechtlicher Baugesellschaften gut vorstellbar. Warum sollen z. B. nicht Sozialbau und BSG kooperieren, wie dies derzeit bei der Neubebauung am Hofgarten erfolgt?
Der Geschäftsführer der Sozialbau, Herr Herbert Singer, hat hierzu in einem Interview bereits Signale gegeben und sich zu seiner städtebaulichen Verantwortung bekannt (H. Singer, Sozialbau Kempten, Beitrag zur Stadtentwicklung, Kreisbote vom 11.10.2006).
Die Altstadt ist und bleibt das Herz der Stadt Kempten.
Es scheint so, als sei dieses Herz etwas altersschwach geworden. Damit es wieder kräftiger schlagen kann, müssen die Sanierungsziele für die Altstadt neu herausgearbeitet und im Flächennutzungsplan verankert werden.

Die Diskussion um die Art und die Bedeutung der Ziele kann ein verändertes Bewusstsein zur Altstadt entstehen lassen.
Wünschenswert wäre, wenn gute Wege zur Sanierung aufgespürt werden. Meine Vision, dass sich aus diesem Prozess auch die notwendigen positiven Veränderungen für die Altstadt zwangsläufig entwickeln, kann jedoch nur dann Wirklichkeit werden, wenn „die Zeiten gut bleiben“ und die verantwortlichen Bürger, Verwaltungsleute und Politiker ihren positiven Beitrag für die Altstadt leisten.

Von Baudirektor a. D. Dieter Schade

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