Nutzungskonzept im Wandel – eine Jahresbilanz
Im Jahr 2010 gelangen innere und äußere Veränderungen für das Projekt „Beginenhaus“. Die Bilanz nach fünf Jahren intensiver Arbeit in den beiden mittelalterlichen Häusern kann sich sehen lassen: Einbauten und Verkleidungen aus jüngerer Zeit wurden entfernt, weitere Teile der wertvollen historischen Ausstattung freigelegt und auch die Dokumentation des jahrhundertealten Bestandes wurde fortgeführt. Verschiedene Nutzungsmöglichkeiten wurden diskutiert, nachdem sich die bisherige Planung als nicht tragfähig erwiesen hatte.
Mehr als 100.000 Euro hat der Förderverein Beginenhaus Kempten e. V. aus eigener Kraft bisher zusammengetragen und in die Erhaltung der Bausubstanz investiert. Sei es die Instandhaltung der Dachdeckung, der Einbau von Zugankern im Dachgeschoss, die Konservierung der bemalten Stube im Nonnenturm, die Freilegung des Kieselpflasters im Gewölbekeller oder der Bau eines provisorischen Dachs über dem Mittelbau, der verhindert, dass Nässe in die Häuser eindringt: Jeder Euro kam den Häusern zugute. Kleinere und größere Spenden und die Erlöse von Aktionen summierten sich zu dieser stolzen Summe und ermöglichten die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen, ohne dass damit der städtische Haushalt belastet wurde.
Im Herbst 2010 stand plötzlich ein Gerüst an der Fassade an der Burgstraße. Viele hofften, dass dies der Start der Gesamtsanierung wäre. Doch ist das noch nicht möglich, weil zur Beantragung von Fördergeldern noch immer noch der städtische bzw. vereinsinterne Eigenteil von ca. 400.000 Euro für den ersten Bauabschnitt fehlt. Das Gerüst wurde aufgebaut, damit Restauratoren die Malereischichten aus 650 Jahren untersuchen konnten, die als Vorbild für die künftige Außengestaltung dienen sollen. Wie bei einem so repräsentativen Gebäude zu erwarten, fanden sich mehrere bunt bemalte Putzschichten. Der außergewöhnlichste Befund ist die renaissancezeitliche Gestaltung der Haus-ecken: Dreidimensional gemalte Quader in unterschiedlichen Formen, wie aus Schubladen übereinander gestapelt. Eine vergleichbare Fassadengestaltung findet sich am Hohen Schloss von Füssen, was die hohe Wertigkeit dieses Dekors beweist.
Nach dem Abbau des Gerüsts zeigen sich nun die weiß zugeputzten Untersuchungsflächen als Fleckenteppich auf der sanierungsbedürftigen Hausfront. Manche fragen sich, warum in diesem Zuge die Fassade nicht gleich hergerichtet wurde. Doch dies würde als Baubeginn gewertet, was zum Verfall aller Fördergelder führen würde. Erst wenn die Sanierungsgelder für den ersten Bauabschnitt bereitstehen und alle Anträge genehmigt sind, dürfen Maßnahmen zur Instandsetzung durchgeführt werden. Vorher sind nur Notsicherungen und restauratorische Untersuchungen erlaubt.
So wird die Fassade des Beginenhauses an der Burgstraße wohl noch einige Zeit mahnen, bis aus dem „Schandfleck“ ein Schmuckstück geworden ist.
Aktionen des Fördervereins
Gleich zweimal wurde in diesem Jahr der beliebte Bücherflohmarkt des Fördervereins veranstaltet. Thematisch sortiert fanden mehrere tausend Bücher neue Leser. Auch der Tag des offenen Denkmals war wieder ein großer Erfolg. Zwei Ausstellungen im Haus, das Café im Nonnenturm und Führungen lockten zahlreiche Besucher, die sich von den Fortschritten im Inneren überzeugen konnten.
Gut angenommen wurde auch die monatliche Samstagsführung. Übers Jahr fanden einige Sonderführungen statt, darunter auch für auswärtige Besuchergruppen z.B. aus Südtirol.
Seit einigen Wochen ist die Geschichts-AG der Staatlichen Realschule an der Salzstraße immer wieder bei Projekten im Haus zu Gast. Die Schüler arbeiten aktiv im Haus mit, gestalten Infostände in der Fußgängerzone, zeigen dort, was ihnen im Beginenhaus besonders gefällt, und sammeln Spenden für die Sanierung.
Ein neues Nutzungskonzept
Ein besonderer Schwerpunkt 2010 war die Suche nach einem neuen Nutzungskonzept, nachdem sich das bisherige als nicht tragfähig erwiesen hatte. Bislang war vorgesehen, in den oberen Geschossen vermietbare Büroräume einzurichten, um den Hausunterhalt zu erwirtschaften. Diese teilkommerzielle Nutzung zeigte sich als hinderlich bei Anträgen auf Fördermittel, die eine gemeinnützige bzw. öffentliche Nutzung voraussetzen.
Einige Wochen war das Beginenhaus im Rahmen des Museumsentwicklungsplans auch als weiterer Kemptener Museumsstandort im Gespräch. Diese Nutzung erwies sich aber bei genauerer Überlegung als ungeeignet, weil z. B. die Eingriffe in die historische Substanz zu groß wären und nicht genügend neutrale Räume, wie für einen großen Museumsbetrieb notwendig, zur Verfügung stünden.
In etlichen Gesprächen und Workshops sowie nach einer Analyse der bereits in der Altstadt vorhandenen Angebote entwickelte der Förderverein daher einen neuen Nutzungsplan: Ein „Haus der Buchkultur“ im Beginenhaus.
Hintergrund ist der Bestand von ca. 30.000 wertvollen historischen Büchern im Besitz der Stadt Kempten, die seit Jahrzehnten auf mehrere Standorte verteilt nur eingelagert und nicht zugänglich oder nutzbar sind. Dieser Bücherschatz wurde seit dem 15. Jahrhundert angesammelt und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gepflegt. Seitdem führt er unbeachtet ein Schattendasein. Zwar gab es mehrere erfolglose Anläufe einer Neuinventarisierung, doch waren nie geeignete Räume oder ein tragfähiges Konzept vorhanden, um die Bände der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das 1. und 2. Obergeschoss des Beginenhauses bietet in idealer Weise dafür geeignete Räume für klimatisch regulierbare Magazine, dazu gibt es einen Lesesaal, einen Ausstellungsraum, eine Buchwerkstatt sowie Büros mit Arbeitsplätzen. Der Förderverein würde als zusätzliches, thematisch passendes Angebot ein Antiquariat im Ladenraum zur Burgstraße einrichten.
Der Stadt Kempten gelänge auf diesem Weg die Lösung gleich zweier wichtiger Anliegen: Die denkmalgerechte Nutzung des sanierten Beginenhauses und die Erhaltung sowie Nutzung ihrer überregional bedeutenden Büchersammlung.
Im normalen Betrieb der Stadtbibliothek, ob in der Orangerie oder in neuen Räumen, können diese historischen Bücher nicht zugänglich gemacht werden, da ihre Benutzung sich grundlegend von der des modernen Medienbestands unterscheidet (keine Ausleihe möglich, Aufstellung unter besonderen konservatorischen und diebstahlsicheren Bedingungen, Einzelbetreuung von Benutzern, Fachkenntnisse bei der Inventarisierung u. v. m.). Die Benutzung historischer Bücher ähnelt viel mehr der von Archivalien. Eine verwaltungstechnische Anbindung an das Stadtarchiv Kempten ist daher sinnvoll, auch weil so die Betreuung durch eine Buchrestauratorin gewährleistet wäre.
Der Lesesaal im gotischen Raum ist geeigneter Treffpunkt für Geschichtswerkstätten, Vereine und Schreibgruppen, von denen es in Kempten einige gibt. Im Ausstellungsraum im Renaissance-Saal kann die reiche Buchkultur von Reichs- und Stiftsstadt Kempten gezeigt werden: Papiermühlen, Druckereien und Bücher mit besonderer Geschichte bieten Stoff für wechselnde Präsentationen. In der Buchwerkstatt im 2. OG können Kurse zur Schriftenmalerei oder Marmorpapierherstellung stattfinden.
Vom bisherigen Nutzungskonzept des Fördervereins werden viele Elemente beibehalten: Ein Veranstaltungssaal für die Altstadt im EG des Beginenhauses, ein neuer Mittelbau mit Aufzug, feuersicherem Treppenhaus und Technikräumen, ein Tagescafé im Nonnenturm und ein kleines Museum zur Kultur der Reichsstadt in den originalen Räumen des Nonnenturms (1. OG: Stadtmauerwehrgang, mittelalterliche Bohlenstube; 2. OG: Renaissance-Wohnung mit originaler Ausstattung). Auch das Eingangsfoyer von der Burghaldegasse zum Innenhof und dem Vorderhaus wird wie vorgesehen gestaltet.
Es ist mehr als wünschenswert, dass dieser neue Nutzungsvorschlag gründlich geprüft und sein großes Potential erkannt wird. Das Beginenhaus wartet inzwischen mehr als 25 Jahre auf seine Wiederbelebung. Helfen Sie mit und unterstützen Sie den Förderverein bei diesem Vorhaben!
Förderverein Beginenhaus Kempten e.V.
Hoföschle 9, 87439 Kempten (Allgäu)
Tel. 0831/511973www.beginenhaus-kempten.de
Spendenkonto Nr. 610 25 75 78 bei der Sparkasse Allgäu (BLZ 733 50 000)