Hoffnung für das Beginenhaus

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Der sogenannte Nonnenturm. Foto: Roger Mayrock, Kempten

Seit über zwei Jahrzehnten stehen das sog. Beginenhaus und der an die Stadtmauer anschließende sog. Nonnenturm in der Kemptener Altstadt leer. Zwei Gebäude, die von ihrer gut erhaltenen historischen Ausstattung wie von ihrer besonderen Lage her, Schmuckstücke für die Innenstadt sein könnten, wurden zum verwahrlosten Schandfleck und scheinbar unlösbaren Problemfall.

Zahlreiche Artikel in der Allgäuer Zeitung oder im Altstadtbrief (zuletzt von Dieter Schade 2001) hielten die Gebäude Burgstraße 3 und 3a und die damit verbundene Problematik zwar im Bewusstsein der Bevölkerung, doch ge­lang es in all den Jahren nicht, eine sinnvolle Nutzung zu finden. Keiner der bisherigen kommerziellen Interessenten entwickelte ein Nutzungskonzept, das sich mit der wertvollen Denkmalsubstanz vertragen hätte und dennoch auf Jahre hinaus auch wirtschaftlich rentabel erschienen wäre. Mit die größte Schwierigkeit ist der Umstand, dass für eine Wohnnutzung, wie sie wiederholt im Gespräch war, ­massive Eingriffe in die Bausubstanz und die Gebäudestruktur notwendig wären. Da es unmöglich ist, ein solches Gebäudeensemble „neutral“, d.h. ohne konkrete Nutzungsperspektive instand zu setzen, gerieten die Bemühungen um eine Sanierung schließlich zum Erliegen.

Nun zeigt sich ein Lichtstreif am Horizont: Die Beschäftigung mit der Ge­schichte der Gebäude führte im Frühjahr 2001 mehrere Frauen zusammen, die sich in unterschiedlichen Einrichtungen und Vereinen engagieren. Aus einem anfänglich nur lockeren Ideenaustausch er­wuchs im Laufe des Jahres ein sich regelmäßig treffender Arbeitskreis, der sich konkret mit den Voraussetzungen für eine denkmalgerechte Instandsetzung der Häuser und – anknüpfend an die historische Tradition der Häuser – einer Nutzung für Frauenprojekte beschäftigte. Schnell zeigte sich die Vielfalt zukünftiger Nutzungsmöglichkeiten: Aus dem sozial-karitativen Bereich fanden sich ebenso Interessentinnen wie aus dem Kulturbereich; Platzbedarf für Anwaltskanzleien, Therapieräume, Büros und eine kleine Gastronomie wurde angemeldet. Einig waren sich alle, dass die Verwaltung des Gesamtprojekts gemäß der mittelalterlichen Tradition der Häuser in Frauenhänden liegen sollte, der Großteil der Gebäude aber offen sein sollte für alle Bevölkerungsgruppen.

Ein Grundgedanke von Anfang an war der Wunsch nach einem behutsamen Umgang mit der jahrhundertealten Bausubstanz der Häuser. Als wichtigste Voraussetzung für eine denkmalgerechte Sanierung scheint es, die Nutzung den Gebäuden anzupassen und nicht umgekehrt die Gebäude einer Nutzung. Mit möglichst wenig Eingriffen in die historischen Raumstrukturen und -aufteilungen soll es gelingen, die bauhistorischen Schätze der Gebäude zu bewahren. Die zukünftigen Mieterinnen des Hauses werden profitieren von der besonderen Atmosphäre und Ausstattung dieser einzigartigen Bauwerke, sowie von der räumlichen Nähe zu anderen Einrichtungen im Haus selbst wie in der Nachbarschaft. Erste Gespräche mit Vertretern des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege sowie der Stadt Kempten verliefen sehr ermutigend. Dem Projekt wurde volle Unterstützung zugesichert. Um eine wirkungsvolle Grundlage für das weitere Vorgehen zu schaffen, soll demnächst ein Förderverein „Beginenhaus“ e.V. ins Leben gerufen werden. In diesem Verein können sich alle engagieren, denen das Schicksal des Beginenhauses ebenso ein Anliegen ist wie die Bewahrung historischer Bausubstanz in Kempten und die Wiederbelebung der Altstadt. Denn die sorgfältige Sanierung und die vielfältige Nutzung der beiden Häuser an der Burgstraße haben in jedem Fall positive Wirkung auf die umliegenden Straßen­züge und werden als Bereicherung in der Altstadt spürbar werden.

Um die eigentliche Sanierung gründlich planen zu können, ist als erster Schritt die Erstellung eines Gutachtens not­wendig, das zuerst die Ergebnisse bis­heriger bauhistorischer Forschungen bündelt und die Stellen aufzeigt, an denen weitere Untersuchungen notwendig sind, bevor eine Planung beginnen kann. Auch muss eine Kartierung der Bau­schäden erfolgen, um den Erhaltungs­zustand der historischen Substanz ­realistisch einschätzen zu können, was beides Auswirkungen hat auf den Sanierungsablauf und die Kosten. Ein detailliertes Nutzungskonzept ist ebenfalls ein wichtiger Teil des Gutachtens, damit frühzeitig die Raumbelegung und die Gestaltung der inneren Struktur des Häuser geklärt werden kann. All dies bildet die Grundlage für die Erstellung eines tragfähigen Finanzierungs­kon­zepts. Die Gelder für die denkmal­gerechte Sanierung sollen aus verschiedenen Quellen zusammenfließen: Stiftungen, Städtebauförderung, Zuschüsse vom Landesdenkmalamt, Kredite und Spenden. Dazu ist das intensive Enga­gement aller Beteiligten notwendig. ­Einsatzfreudige Frauen mit kreativen Ideen sind willkommen. Die erste Stufe, die Realisierung und Finanzierung des Gutachtens, sieht der Arbeitskreis als eine Art Nagelprobe, auch um zu erfahren, als wie realistisch, zukunftsfähig und akzeptiert dieses Projekt „Beginenhaus“ in der Bevölkerung eingeschätzt wird. Mit gemeinsamem Einsatz für ein geschichtlich wie städtebaulich bedeutendes Gebäudeensemble kann für die Kemptenerinnen und Kemptener ein lebendiges Zentrum am Eingang zur Altstadt entstehen.

Zur Geschichte der Schwesternhäuser in Kempten

In den letzten Monaten gelang es, in die geheimnisvolle Geschichte der Gebäude ein wenig Licht zu bringen. Im Volksmund wurden die Häuser frühestens seit dem 19. Jh. Beginenhaus und Nonnenturm genannt. Der historische Hausname war „ze der stueg“ (Zur Stiege) nach der Treppe, die hier auf die Stadtmauer führte. Heute sind von dem Wehrgang im Haus die breiten Bodenbretter als Stufe und die zugemauerten Durchgänge zu den Nachbarhäusern erhalten.Noch im 17. Jh. erinnerte man sich daran, dass um 1400 eine Gemeinschaft frommer Frauen das Haus mit der Stiege auf die Stadtmauer und dem Lamm Gottes im Bogen über der Haustür (Abb. 3) genutzt hat. Das Schwesternhaus hatte direkt am Illertor an der Hauptstraße eine prominente Lage.

Die Spuren der mittelalterlichen Ausstattung sind im hinteren Haus noch deutlich abzulesen; hier ist auch ein großer Kamin über der alten Herdstelle erhalten, ein Hinweis auf die Großküche, die eventuell von den Schwestern hier betrieben wurde. Ein ähnlich großer Rauchabzug wurde im „Seelhaus zum Steg“ am St.-Mang-Platz 12 gefunden. Während die Frauengemeinschaften für ihre Versorgung keine so großen Herde benötigten, könnten für die Verköstigung der zahlreichen Reisenden und Pilger, die in solchen Häusern Unterkunft und Betreuung fanden, hier Mahlzeiten in ausreichender Menge gekocht worden sein.

In Kempten bestanden zwischen dem 14. und dem 16. Jh. zeitweise bis zu neun oder sogar zehn Schwesternhäuser, in denen Frauen in religiöser Gemeinschaft, je­doch unabhängig von einem Orden, ­lebten und arbeiteten. Diese Gruppen wurden von den Stadtbürgern durch ­Stiftungen unterstützt, verdienten sich aber wohl zusätzlich ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen sozialen und handwerklichen Tätigkeiten, über die wir im Detail aus den Quellen leider nur wenig erfahren.

Mit dem Bau des St.-Anna-Klosters am Neustädter Tor, wo heute die Sutt-Schule steht, ab 1502 scheinen sich die Gemeinschaften neu organisiert und als Tertiarinnen, „Graue Schwestern“ genannt, dem Franziskus-Orden angeschlossen zu haben. Die vor allem entlang der Hauptstraße quer durch die Stadt ehemals zu findenden Schwesternhäuser scheinen in Zusammenhang mit der Klostergründung aufgegeben worden zu sein. (Ausführlicher und mit Quellenbelegen informiert zur Geschichte der Schwesternhäuser im spätmittelalterlichen Kempten ein Aufsatz im Allgäuer Geschichtsfreund 2002.) Das heute sog. Beginenhaus war nach dem Auszug der Schwestern im Besitz reicher Kemptener Bürgerfamilien, die es gemäß dem Geschmack der Zeit ­ausgestalteten. Das große Vorderhaus (Abb. 1) wurde wohl im Spätmittelalter aus zwei schmalen mittelalterlichen Gebäude zu einem zusammengebaut. Spätestens im 16. Jh. wurde es aufgestockt; aus dem Jahr 1584 stammt – laut der dendrochronologischen Untersuchungen – der mächtige Dachstuhl. Im 18. Jh. bezeichnete man das repräsentative Gebäude am Eingang der Reichsstadt als das „Große Haus“. Ein mit bemaltem Täfer geschmückter Raum im rückwärtigen Gebäude an der Stadtmauer wurde wohl in der Zeit um 1600 eingebaut.

Wertvolle Ausstattungen und Baudetails aus vielen Epochen sind in den beiden Häusern – teilweise in bemerkenswert gutem Zustand – erhalten. Es ist an der Zeit, dass dieser glückliche Umstand als einzigartige Chance begriffen wird und sich zum Positiven auswirkt, statt wie bisher als Hinderungsgrund für eine zeitgemäße Nutzung angesehen zu werden.

Liebe Freunde der Altstadt, bitte unterstützen Sie den Förderverein „Beginenhaus“ e.V.! Wenn Sie weitere Informationen bekommen oder in den Verteiler für die Infoblätter aufgenommen werden möchten, wenden Sie sich an
Frau Bernadette Mayer
Tel.: 0831/511973
E-mail: mayr.patchwork@t-online.de
Frau Christine Schmidt
Tel.: 0831/51210330
E-mail: schmidtcs@web.de.

Von Birgit Kata M.A., Historikerin

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