Mittelalterliches Handwerk auf der Burghalde

Ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Burghalde wird eingeläutet: Im Dezember wird das Allgäuer Burgenmuseum den ersten seiner zwei Räume auf der Burghalde eröffnen und dem Publikum zugänglich machen. Derzeit arbeiten fleißige ehrenamtliche Handwerker des Allgäuer Burgenvereins auf Hochtouren, um Teile der Ausstattung fertig zu stellen. Mit der Eröffnung des Museums beginnt für die Burghalde ein neuer Abschnitt in seiner wechselvollen Geschichte.

Aus der Geschichte der Kemptener Stadtburg:
In die Mauerreste eines früheren römischen Kastells der Spätantike errichteten die Staufer 1191 auf der Burghalde eine Vogtei über das Klos­ter Kempten und brachten dort ihre Dienstleute unter. Angeblich ist Abt Heinrich als Gründer der Kemptener Burg zu nennen, da er 1223 die Burghalde ausbauen und einen Turm errichten ließ. 1363 erstürmten Bürger die Burg des Abtes, zerstörten  den Amtssitz des Klostervogtes und damit auch die Burg .1379 verkaufte der Abt nach jahrelangem Rechtsstreit die Burghalde und die Ruinen der Burg an die Bürger der Stadt Kempten. 1488 ist die Burghalde seit 109 Jahren keine Burg im üblichen Sinne mehr und wird in die Befestigungsanlage der Stadt mit einbezogen. 1632 im 30 – jährigen Krieg wurde die Burghalde abwechselnd von Schweden und Kaiserlichen besetzt. Im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges erfuhr die Burghalde 1703 vom französischen Militär einen Ausbau zur Festung und wurde bereits zwei Jahre später auf Befehl des Prinzen Eugen von Savoyen geschleift (abgebrochen).

Die Burghalde und ihre Entwicklung in der Neuzeit:
Die Burgenromantik erfasste auch Kempten und so erwachte unsere Stadtburg nach Jahrhunderte langem „Dornröschenschlaf” mit der Gründung des Burghaldevereins 1865 zu neuem Leben. So wurde 1870 das Wärterhaus errichtet, 1890 ausgebaut und sicher auch bewohnt. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts errichtete der Burghaldeverein an der Nordseite des Burgtores einen Pavillon, um dort auch bei schlechtem Wetter Feste feiern zu können. Dann wurde es wieder stiller auf der Burghalde. Erst beim Bau der Freilichtbühne 1950 mit nur punktuellen archäologischen Beobachtungen wurden in der untersten  römischen Fundschicht Turm- und Mauerfundamente aus der Römerzeit gefunden. Mit der Bühne und den darauf stattfindenden Veranstaltungen wurde der Burghalde neues Leben eingehaucht.

Die Kemptener Stadtburg im neuen Jahrtausend:
2001 erfuhr  die Burghalde eine weitere Bereicherung durch die Sanierung des Wärterhauses. Bei den archäologischen Untersuchungen, die die Sanierung  begleitet haben,  wurde ein tiefes Fundament der alten mittelalterlichen Nordmauer nachgewiesen. Außerdem wurde die ehemalige Trennmauer nördlich der Toreinfahrt bei einer Sondierung festgestellt. Reste eines mutmaßlichen Burgfrieds wurden bisher nicht entdeckt.

Die Burghalde als funktionsfähige Burg:
Von 1191 kann davon ausgegangen werden, dass die Burghalde durch einen Vogt der Staufer mit Gesinde und entsprechenden Kriegsknechten bewohnt war. Spätestens mit dem Ausbau der Burg und der Errichtung eines Turme durch Abt Heinrich im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts kann angenommen werden, dass es sich um eine funktionsfähige Burg mit Bergfried und Vorburg gehandelt hat. Burgen des Mittelalters waren an sich autonome Gemeinwesen und mussten es auch bei eventuellen Belagerungen sein. Etwa sieben Dörfer waren notwendig, um eine Burg mit ihrer Besatzung mit Lebensmitteln zu  versorgen, auszustatten und den Unterhalt sicherzustellen. Die täglichen Gebrauchsgüter wurden weitgehend durch geschickte Knechte und Handwerker auf der Burg selbst hergestellt. Eisenteile, wie Beschläge und Geräte sind in der eigenen Schmiede repariert und gegebenenfalls selbst neu geschaffen worden. Größere Ausrüstungsgegenstände wie Waffen und Rüstungsteile hat man in speziellen Werkstätten außerhalb hergestellt und durch Handel erworben. Viele Gegenstände bestanden aus Holz. Ein Großteil des Tischgeschirrs wurde vom Tischler oder einem geschickten Knecht auf der Wippdrehbank in der Burg selbst geschaffen. Schafwolle ist gesponnen und auf dem Standwebstuhl gewebt  worden. Auch  Flachs wurde verarbeitet und Leinen für den eigenen Bedarf hergestellt. Mit Beginn des 13. Jahrhunderts kam der Trittwebstuhl auf, der eine größere Webbreite zuließ und den Arbeits­prozess beschleunigte. Vom Sattel bis zur Schmiedeschürze, vom Lederriemen des Wippdreh­bank­antriebes bis zu den Schuhen waren  viele Gebrauchsgegenstände, die besonderer Beanspruchung ausgesetzt waren, aus Leder. Mit der Zerstörung der Burghalde durch die Bürger im Jahre 1363 war die mittelalterliche Burghalde nicht mehr bewohnbar.

Die Burghalde wird wieder bewohnt:
Erst mit dem Bau des Wärterhauses im ausgehenden 19. Jahrhundert durch den neu entstandenen Burghaldeverein war die Burghalde wieder bewohnt. Über die Aktivitäten des Burghaldevereins ist in der Öffentlichkeit leider wenig bekannt. Der Bau des Pavillons mit Beginn des 20. Jahrhunderts zur Durchführung von Festen lässt auf rege Aktivitäten dieses Vereins schließen. Ein weiterer Schritt zur Belebung der Burghalde stellte der Bau der Freilichtbühne 1950 dar.

Unsere Stadtburg erhält eine neue Attraktion:
Zukünftig wird neben den Angeboten auf der Freilichtbühne die Burghalde durch die Einrichtung des Allgäuer Burgenmuseums mit Außenaktivitäten in Form von Besucherprojekten und museumspädagogischen Angeboten auch während des Jahres belebt werden. In verschiedenen Altersstufen der unterschiedlichen Schultypen erfahren Kinder und Jugendliche über die Bedeutung des Mittelalters sowohl für die Entwicklung unserer Kultur und Technik, als auch über die Grundlagen zur Entwicklung eines geeinten Europas. Den Leistungen der Menschen im Mittelalter verdanken wir heute einen Gutteil unseres Selbstverständnisses und heutiger Lebensqualität. Mit dem Allgäuer Burgenmuseum will der Allgäuer Burgenverein die Bemühungen der Schulen unterstützen und jungen Menschen wie auch Erwachsenen die Burgenzeit und das Mittelalter näher bringen.

Angebote und Kurse als Impulsgeber für die Region:
Besuchende und andere Interessierte haben bald Gelegenheit, Gegenstände der materiellen Kultur des Mittelalters handwerklich nachzuempfinden und historische Fertigungstechniken kennen zu lernen. Nachdem wir heute in einer „Knöpfchenzeit” leben, in der viele Dinge durch Mausklick und Knopfdruck gesteuert werden, brauchen junge Menschen zur Ausprägung ihrer Fähigkeiten und Handfertigkeit auch Erfahrungen mit verschiedenen Materialien. Darüber hinaus ist es wichtig, Übung in der Handhabung von Werkzeugen zu bekommen, um unsere Welt nicht nur im Computer als gestaltbar zu erleben und zu begreifen. Hierzu bieten die zukünftigen handwerklichen Angebote auf der Burghalde hervorragende Gelegenheit. In Tages-, Wochenendangeboten und Kursen sollen sowohl Kinder und Jugendliche, als auch Multiplikatoren handwerkliche Erfahrungen sammeln können. Dabei sollen ihnen die Künste der mittelalterlichen Zünfte näher gebracht werden. Vom Weben auf dem Standwebstuhl über Schmieden, Metalltreiben, Knochen- und Hornbearbeitung zur Herstellung von Kämmen,  Bronzegießen, Instrumentenbau usw. soll der Bogen der zukünftigen Angebote auf der Burghalde gespannt sein. Darüber hinaus besteht die Vision für Könner z.B. Schmiede- und Damaszierkurse in einer der Hammerschmieden der Region zu organisieren, um so auch eine Plattform und Impulse zum Erfahrungsaustausch und zum Aufleben der Handwerkskünste zu geben. Die Kursteilnehmenden lernen so die Vielfalt und zeitlose Schönheit mittelalterlicher Gebrauchsgegenstände kennen und handwerklich nachzuempfinden.

Die Kemptener Stadtburg braucht ein historisches Handwerkerhaus:
Um diese Aktivitäten auch witterungsunabhängig durchführen zu können, ist der Bau eines Handwerkerhauses geplant. Dieses soll selbst Exponat sein und die Kunst der Zimmerleute des 13. bzw. 14. Jahrhunderts widerspiegeln. Dieses Haus soll vielfach genutzt werden. Von Vorträgen bis zum Minnesang und als Basis für Burgfeste, wie dem ersten historischen Burgfest dieses Sommers, soll es verschiedenen Aktivitäten Obdach bieten.

Um dies verwirklichen zu können, ist der Allgäuer Burgenverein auch auf Ihre Unterstützung und Förderung angewiesen.

  1. Bisher keine Kommentare.
(wird nicht veröffentlicht)
  1. Bisher keine Trackbacks.