Besuchermagnet Erasmuskapelle unter dem St.-Mang-Platz
Das lange Warten hat sich gelohnt. Dieser Meinung sind jedenfalls die Menschen, die seit der Eröffnung am 18. September den neuen Schauraum Erasmuskapelle besucht haben. Mehrere Monate länger als geplant dauerte die Baumaßnahme, bis aus den überraschend zutage gekommenen Ruinen eine neue Attraktion im Kemptener Untergrund entstand.
Es war der vielfach geäußerte Wunsch aus der Bevölkerung, dieses besondere Geschichtszeugnis zugänglich zu halten, der im Stadtrat nach intensiver Diskussionen den Ausschlag gab, für den Bau des Schauraums zusätzliche Kosten und Bauzeit in Kauf zu nehmen. Die durchwegs positive, oft begeisterte Resonanz der Kemptenerinnen und Kemptener wie von auswärtigen Gästen beweist schon jetzt, dass diese Entscheidung richtig war.
Es entstand aber unter dem St. Mang-Platz nicht nur ein Schauraum, in dem auf unterhaltsame Weise aus der Stadtgeschichte erzählt wird, sondern auch ein Ort des Gedenkens und der Erinnerung: In einem neugeschaffenem Raum hinter der Ostwand der Kapelle wurden in Metallkörben mehr als 50 Skelette wieder bestattet. Nur schwach beleuchtet sind die Körbe von der Erasmuskapelle aus einsehbar durch zwei Öffnungen, die bei den Abbrucharbeiten 1857 entstanden waren. Die Gebeine dienen als Verweis auf die Nutzung des Untergeschosses als Beinhaus und als Erinnerung an den Friedhof der Reichsstadt, der hier vom 7. Jh. bis 1535 bestanden hat. Sie wurden in dem geweihten Raum wieder bestattet, bleiben aber weiterhin für wissenschaftliche Untersuchungen durch die Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie der Ludwigs-Maximilians-Universität München zugänglich.
Auf dem Platz erinnert eine Bronzetafel mit Inschrift an den alten Friedhof; darauf zu lesen ist auch ein Spruch, der als Hinweis auf die Vergänglichkeit in vielen Beinhäusern so oder in ähnlicher Form zu lesen war: Sum quod eris, quod es fui. – Ich bin, was Du sein wirst, was du bist, bin ich gewesen.
Die Form der Präsentation im Schauraum, die Licht, Ton, Projektionen und einen neuartigen Medientisch als Elemente hat, ist einmalig in ihrer Art. Kemptener Stadtgeschichte kann hier an einem „authentischen Ort“ in ganz besonderer Weise erlebt werden. Auch gehbehinderten Gästen ist übrigens ein Besuch möglich, da ein Treppenrollstuhl vorhanden ist.
Die Geschichte der Reichsstadt zeigt sich in der Erasmuskapelle wie in einem Brennglas: Von der Römerzeit bis in die Gegenwart spannt sich der Bogen. Die wachsende Siedlung im Flusstal macht im späten 13. Jh. den Bau einer zweigeschossigen Friedhofskirche als sogenannte Karnerkapelle, mit dem Erzengel Michael als Patron, notwendig. Nach einem Brand im 14. Jh. erfolgt der Umbau des Beinhauses im Untergeschoss zu einem zweiten Kapellenraum, der dem Hl. Bischof Erasmus geweiht wurde. Die beiden Kapellen übereinander dienen vermutlich während des Baues der gotischen St. Mang-Kirche ab 1426 als Notkirche. Erst 30 Jahre nach der Reformation kommt das Gebäude 1557 in den Besitz der evangelischen Reichsstadt; vorher gehörte es dem Bischof von Augsburg, nicht dem ehemaligen Stadtherrn, dem Fürstabt von Kempten. Die neuen Besitzer profanieren die Kapellen, indem sie das Erdgeschoss zu einem Leinwandschauhaus umbauen und im Untergeschoss eine Trinkstube exklusiv für den Stadtrat einrichten.
Nach 300 Jahren, 1857, wird das Erdgeschoss unter Protest abgebrochen. Beim Bau eines Erdbunkers 1943 und der Anlage eines Schützengrabens 1945 werden Gräber und die Westmauer der Kapelle angeschnitten. Aber das unterirdische Bauwerk gerät bald wieder in Vergessenheit. So dauert es bis 2003, als bei der archäologischen Sondage im Vorfeld der Platzneugestaltung die Mauern der Michaels- und Erasmuskapelle wiederentdeckt werden.
Ein großer Dank gilt allen am Projekt Beteiligten, ohne deren Engagement die Realisierung nicht möglich gewesen wäre, insbesondere der Baubetreuung durch das Tiefbauamt der Stadt mit seinem Leiter Markus Wiedemann und dem Projektleiter Michael Kral, die auch die technische Feinabstimmung des laufenden Betriebs weiterhin begleiten.
Ein herzliches Vergelt’s Gott soll auch allen ehrenamtlich Mitwirkenden gesagt sein, durch deren Einsatz die Besucherbetreuung an der Info-Theke und im Schauraum gewährleistet ist, besonders den Freunden der Altstadt. Das Hauptverdienst und größte Dankeschön gebührt dem „Organisationsteam“ mit Rudi und Angelika Wackenhut.
Ein weiterer herzlicher Dank gilt dem Kirchenvorstand der St.-Mang-Kirchengemeinde und dem Dekanat Kempten, die ihre Zustimmung gaben für die Präsentation einer Begleitausstellung in der Südhalle der St.-Mang-Kirche und den Einbau der Informationsbox, in der bis auf weiteres Eintrittskarten für die täglich (außer mittwochs) angebotenen Besichtigungszeiten verkauft werden. Dort ist seit kurzem auch eine Broschüre zu bekommen, in der die Bilder und Texte der Ausstellung zusammengefasst sind; sie soll die Wartezeit bis zum Erscheinen eines umfassenden Informationsheftes über die Geschichte der Erasmuskapelle auf dem St.-Mang-Platz überbrücken.