Die Zukunft der Altstadt Kemptens

Grundlagen für künftige Szenarien, Ziele, Strategien

1. Allgemeines
Die Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes der Stadt Kempten in den Jahren 2006/2007 gab Anlass, sich Gedanken zur Entwicklung der Altstadt zu machen. Die Überlegungen wurden mit dem Baureferat der Stadt diskutiert, von den Freunden der Altstadt Kemptens e. V. und von mir in das Verfahren eingebracht und in einer öffentlichen Sitzung dem Stadtrat vorgestellt. Da die Zielsetzungen des Planes in einer generalisierenden Darstellung der wesentlichen städtebaulichen Entwicklungsziele liegen, konnten die Anregungen nicht im Rahmen des Verfahrens berücksichtigt werden. Sie sind jedoch nach Auffassung der Altstadtfreunde von so erheblicher Bedeutung, dass sie auch künfig weiterverfolgt werden sollen.

2. Fakten
2.1 Wir werden älter

Während die Gesamtbevölkerung Kemptens abnimmt (-6,1 % in 3 Jahren), nimmt der Anteil der über 65-jährigen kontinuierlich zu (6,1 % in 3 Jahren). Der Altenanteil, der im Jahr 2003 noch bei 12.993 Einwohnern (= 19,0 % der Bevölkerung) lag, stieg im Jahr 2006 auf 13.787 Einwohner (= 21,3 %). Diese Quote liegt deutlich über dem bayerischen bzw. deutschen Durchschnitt. Man kann sagen: Kempten ist eine „alte Stadt!“ Das gilt hier nicht historisch, sondern bezüglich seines Seniorenanteils.
Im Stadtbezirk 39 „Reichsstadt“ entspricht der Altenanteil derzeit dem Durchschnitt Kemptens. Allerdings scheint hier die „Vergreisung“ schneller vor sich zu gehen. Während sich der Anteil der Alten Kemptens um 2,0 % pro Jahr erhöhte, stieg er in der Reichsstadt um 3,1 % pro Jahr. Wird ein Stadtquartier saniert, sinkt der Anteil der über 65-Jährigen deutlich. Beispiel hierfür ist der Stadtbezirk 82 „Unter der Burghalde“, wo der Altenanteil im Jahr 2003 nur 12,4 % betrug (2006 lag er allerdings bereits bei 14,6 %).

2.2 Wir werden weniger
Die Bevölkerung Deutschlands schrumpft. Eine Ausnahme ist nach einer Prognose des Statistischen Landesamtes Bayern mit einer Zunahme der Einwohner von 12,47 Mio. im Jahr 2005 auf 12,74 Mio. im Jahr 2025, d. h. 2,2 % Zuwachs. Gegen diesen Trend wird sich Kemptens Bevölkerung verringern von 61.400 auf 60.100 Einwohner, d. h. 2,1 % Abnahme. Die Jahresberichte der Stadt Kempten zeigen einen Rückgang von 68.558 Einwohnern im Jahr 2003 auf 64.604 Einwohner im Jahr 2006 auf. In den Altstadtbezirken 39 und 82 sind Rückgänge in vergleichbarer Größenordnung registriert. Im Jahr 2006 wurden für Kempten 11,9 Sterbefälle pro 1000 Einwohner verzeichnet. Damit liegt Kempten deutlich über dem Durchschnitt Bayerns mit 9,5 und Schwabens mit 9,7 Sterbefällen pro 1000 Einwohner. Kempten wies schließlich im gleichen Jahr ein großes Defizit zwischen Geburten und Sterbefällen mit 2,8 pro 1000 Einwohner auf. Auch hier liegt die Stadt deutlich über dem Durchschnitt Bayerns mit 1,1 und Schwabens mit 1,3 pro 1000 Einwohner. Das heißt also, dass Kempten mit 557 Geburten und 739 Sterbefällen (1,33 Todesfälle auf 1 Geburt) einen Sterbeüberschuss aufweist, der in der Bevölkerungsstatistik auch durch einen Wanderungsgewinn nicht ausgeglichen werden kann.

2.3 Wir werden bunter
2006 lebten in Kempten 7.348 Ausländer aus 114 Nationen, davon 2.630 Türken, 1260 Italiener und 909 Jugoslawen. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in den letzten Jahren in etwa gleich geblieben. (2003 10,9 %, 2006 11,3 %). Ihre Verteilung im Stadtgebiet ist allerdings sehr ungleichmäßig. Im Altstadtbezirk 39 wohnten 2006 439 (= 24,8 %) Ausländer, im Altstadtbezirk 82 297  (= 23,7 %). Damit ist der Ausländeranteil für die Altstadt mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt Kemptens. Der Altstadtbezirk 39 weist somit den zweithöchsten, der Altstadtbezirk 82 den vierthöchsten Anteil aller 47 Stadtbezirke auf.

2.4 Die Bedeutung der Altstadt
Historisch gesehen hat sich das heutige Kempten aus der Altstadt entwickelt. Geschichtsbewusst sind die Kemptener und stolz auf ihre Reichsstadt. Die Altstadt hat im 20. Jahrhundert ihre Bedeutung als Zentrum Kemptens verloren. Das wirtschaftliche Leben ist in andere Stadtteile abgewandert. Außerdem ist die Altstadt in den letzten zehn Jahren im Vergleich zu den Entwicklungen in anderen Stadtbezirken weiter zurückgeblieben, sieht man von wenigen Ausnahmen ab. So wurde beispielsweise die Sanierung des St.- Mang-Platzes immer wieder zu­rückgestellt, während andere öffentliche Freiräume längst umgestaltet worden sind. Fundierte Handlungskonzepte zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität und Steigerung der Attraktivität der Altstadt fehlen. Eine Revitalisierung der Altstadt tut dringend not.

2.5 Altstadtentwicklungskonzept
Eine differenzierte Analyse der städtebaulichen, wirtschaftlichen und soziodemographischen Parameter für die Altstadt gibt es nicht. Das zehn Jahre alte Innenstadtentwicklungskonzept enthält zwar grundsätzliche Aussagen für die Altstadt, diente jedoch letztlich der Entwicklung von Handlungskonzepten für andere Innenstadtbereiche (z.B. „Knochentheorie“).

2.6 Verkehrswert von nicht sanierten Altstadthäusern
In der ehemaligen Reichsstadt gibt es zahlreiche ältere Häuser, die nicht grundlegend saniert sind. Sie weisen vielfach bauliche Mängel auf. Ihre Wohnqualität entspricht nicht den heutigen Anforderungen. Ich habe Kenntnis von einem Fall, wo die Erben nach dem Tod des Hauseigentümers entsetzt waren über den Zustand des Hauses und sich ernsthaft überlegt haben, ob sie das Erbe annehmen sollen. Für nicht sanierte Altstadthäuser werden vergleichsweise niedrige Kaufpreise und Mieten erzielt.

2.7 Unterstützung von Hauseigentümern bei der Sanierung
Eine Unterstützung der Hausbesitzer, z.B. durch die Stadt, fehlt zur Zeit vollständig. Vorstellbar sind Beratungen zu Förder- und Abschreibungsmöglichkeiten, steuerlichen Aspekten, Wohngeld, Maßnahmen zum Klimaschutz und vieles mehr. Es gibt keine spezielle Aufklärung der Altstadtbewohner durch Faltblätter oder von Bürgerversammlungen, Vorträgen, Workshops und dergleichen. Eine Hilfestellung der Stadt bei der Suche nach Ersatzwohnraum während der Haussanierung könnte hilfreich sein. Aufgrund einer Initiative der Stadt sind für die Gerberstraße derzeit positive Entwicklungstendenzen feststellbar (Geschäftsmodell für die „Nordkurve“). Warum soll so etwas nicht auch für eine Straße in der Altstadt mit zahlreichen nichtsanierten Häusern möglich sein? Vorstellbar ist z. B., dass die Stadt ein Wohnmodell für die Bäckerstraße auf den Weg zu bringen versucht.

2.8 Städtischer Haushalt
Der derzeitige wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland bringt wieder mehr Geld auch in Kemptens Haushaltskasse. Die Zeiten strenger Sparkurse für öffentliche Haushalte sind vorüber. Es gibt wieder mehr Spielräume für Ausgaben, mit denen neue Projekte finanziert werden können. Wenn die Zeiten gut bleiben, müsste davon eigentlich auch etwas für die Altstadt übrig bleiben.

3. Entwicklungsmöglichkeiten
Der demographische Wandel Kemptens, der in seiner Altstadt besonders deutlich ist und die strukturellen Mängel in der ehemaligenen Reichsstadt machen es erforderlich, Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Wohnumfeldes und der Lebensqualität der Altstadtbürger zu entwickeln. Angesichts der Komplexität der Aufgabe ist es notwendig, Datenerhebungen und Bestandsermittlungen vorzunehmen, Szenarien zu entwerfen, Handlungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Die Wirksamkeit und der Erfolg der einzelnen Maßnahmen ist kontinuierlich zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Wichtig ist eine Vorgehensweise, die mit den Bürgern zur Herstellung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses intensiv diskutiert wird.

3.1 Datenerhebung, Feststellen des Bestandes
Wenn man die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Altstadtprobleme
genauer unter die Lupe nehmen möchte, kommt man nicht daran vorbei, vorher die Daten soweit vorhanden zusammenzutragen und auszuwerten, neue Daten zu erfassen und örtliche Erhebungen vorzunehmen.

3.2 Konsequenzen aus dem demographischen Wandel für die Altstadt
Es ist notwendig, sich frühzeitig zu überlegen, welche Maßnahmen zu treffen sind, um die Folgen des demographischen Wandels abzumindern. Hierzu müssen wir uns u. a. mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

  • Wie kann die Altstadt vor einer Überalterung bewahrt und wieder familienfreundlich gemacht werden?
  • Wie kann die Altstadt vor einem „Ausbluten“ bewahrt und wieder zukunftsfähig gemacht werden?
  • Welche Konzepte sind aufgrund der vorhersehbaren Alterung der Bevölkerung für Prävention und wohnortnahe Versorgung zu entwickeln?
  • Wie kann das Potential der „fitten Alten“ verstärkt genutzt werden?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, um Wohnung und Arbeitsplatz möglichst entfernungsnah zu situieren?
  • Wie kann die Integration von Ausländern in der Altstadt verbessert werden?
  • Wie kann die Qualifizierung von jungen Migranten ausgebaut werden?
  • Mit welchen Maßnahmen lassen sich evtl. entstehende soziale Konflikte zwischen Ausländern und Einheimischen verhindern?

3.3 Konsequenzen aufgrund bestehender städtebaulicher Mängel in der Altstadt
Eine Umgestaltung öffentlicher Straßen und eine Sanierung privater Häuser ist wünschenswert und notwendig.

Aufgaben der Stadt Kempten:

  • Umgestaltung St.-Mang-Platz einschließlich der umliegenden Straßen und dergleichen.

Aufgaben der privaten Eigentümer:

  • Erneuerung von Fenstern, Sanitär- und Heizungsanlagen, Verbesserung Wärmeschutz, Straßenfrontgestaltung entsprechend der Verordnung über besondere Anforderungen an bauliche Anlagen in der Stadt Kempten und dergleichen.

3.4 Festlegen zur Öffentlichkeitsarbeit

  • Notwendige Veränderungen in der Altstadt sind nur mit Beteiligung der Altstadtbewohner machbar.
  • Anzustreben ist, engagierte Menschen zu gewinnen, die kreative Ideen einbringen und mit denen gemeinsam gute Lösungen erarbeitet werden können.
  • Festlegung der Art der Bürgerbeteiligung
  • Beratung der Hauseigentümer zu technischen, verwaltungstechnischen und finanziellen Aspekten sowie Fragen der Förderung mit öffentlichen Mitteln bei der Haussanierung durch die Stadt, EZA, Haus- und Grundbesitzerverein und weiteren, initiiert durch die Stadt Kempten.

3.5 Projektorganisation in der Städtischen Verwaltung.
Ein Projekt, mit dem dem demographischen Wandel ernsthaft Rechnung getragen und die baulichen und strukturellen Mängel der Altstadt intensiv angegangen werden, kann nur erfolgreich sein, wenn es richtig in der Stadtverwaltung verankert wird. Seine Bedeutung muss erkannt sein. Die Fragen der Zukunft sind zu beachten. Mit dem Inhalt müssen sich Politik und Verwaltung intensiv auseinander­setzen. Die Stadtverwaltung sollte abteilungsübergreifend an Schwerpunktthemen arbeiten. Es ist sinnvoll, eine Stabsstelle zu schaffen, die dem Oberbürgermeister direkt unterstellt wird. Der ernannte Projektbeauftragte hat die Aufgabe, den Prozess zu koordinieren und zu steuern. Die Aufgabe sollte zur Chefsache des Oberbürgermeisters werden.

4. Dank
Für die Unterlagen, die mir Frau Monika Beltinger, Baureferentin der Stadt Kempten, Frau Susanne Tatje, Projektleiterin demographische Entwicklung bei der Stadt Bielefeld und Herr Georg Heinrich, Stadt Ludwigshafen, zur Verfügung gestellt haben und die vielen Gespräche mit diesen Fachleuten danke ich recht herzlich.

Baudirektor a. D. Dieter Schade

Literatur

  • Altstadtbrief Nr. 33/2006, S. 10 bis 15
  • Innenstadtentwicklungskonzept der Stadt Kempten mit Stadtratsbeschlüssen vom 13.03.1997, 07.08.1997 und 12.02.1998
  • Angaben des Bayerischen  Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung im Jahr 2007
  • Jahresbericht Kempten 2006, Amt für Wirtschaft und Stadtentwicklung
  • Unterlagen zum Bielefelder Demographiekonzept, Stand 25.05.2007
  • Unterlagen zur städtebaulichen Erneuerung in Ludwigshafen am Rhein, Sanierungsgebiet West, Stand 22.05.2007
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